#10/2017: Es gibt nichts Neues unter der Sonne

“Jede vermarktungsfähige Idee zog eine Vielzahl von Nachahmern nach sich”. Wer hinter diesem Zitat eine Klage über ‘Copycats’, ‘Copyisten’ oder ‘Plagiateure’ vermutet, der hat Recht. Wer aufgrund aktueller Diskussionen den Burda Verlag und dessen in dieser Sache sehr aktiven obersten Vertriebsstrategen Tobias Mai dahinter vermutet, der täuscht sich. Es ist eine Passage aus dem Buch “Deutsche Pressegeschichte”, und es beschreibt die Situation im frühen 18. Jahrhundert, also in einer Zeit, in der sich das Produktkonzept ‘Zeitschrift’ gerade erst entwickelte.

“Denn die große strukturelle Krise im Zeitungswesen wird immer problematischer: die Auflagen schrumpfen, die Kosten steigen, die Abonnementspreise können nicht erhöht werden, das Anzeigengeschäft erleidet sich ständig steigernde Einbußen. Da letzteres die wirtschaftliche Grundlage der Zeitungen ist, halten manche Verleger die demokratische Freiheit der Presse für bedroht”.

Das klingt höchst aktuell, nicht wahr? Ist aber ein Zitat aus einem Buch aus den frühen 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Nur dass Curt Riess in seiner wenig bekannten ‘Geschichte des Inserats’ statt von ‘Anzeigengeschäft’ vom “Inseratengeschäft” gesprochen hat. Angst hatten die Verleger damals vor den Auswirkungen der Rundfunk- und Fernsehwerbung. Ihre besten Jahre hatten sie damals aber immer noch weit vor sich.

Die Parallelen zu heute sind dennoch atemberaubend. Denn Curt Riess schrieb damals auch: “1964 schlug der Bund Deutscher Zeitungsverleger Alarm für die Werbewirtschaft und erklärte rundheraus, das Werbefernsehen vernichte ihre wirtschaftliche Existenzbasis, und damit sei es um die geistige Freiheit, die demokratische Gleichheit geschehen. Die Anklage lautete auf ‘Wettbewerbsverzerrung’.”

Dieser kleine Rückblick in die Pressegeschichte zeigt zwar leider keinen Weg auf, wie die Pressebranche sich aus den Nöten der Gegenwart befreien kann. Aber er belegt, dass sie schon einmal eine als existenziell erlebte Krise erfolgreich abgewettert hat.

Das Buch von Curt Riess, eine zufällige Sommerlektüre, hielt noch eine dritte beeindruckende Zeitdiagnose bereit: “Drei Viertel der Bevölkerung leiden unter der Idee, nicht gesund zu sein, und bevölkern die Wartezimmer der Ärzte. Der Zwang, immer schneller, rationeller, konzentrierter zu arbeiten, die Fließbänder, Computer und Automation zwingen dem Menschen einen neuen Arbeitsrhythmus auf. So entstehen Neurosen, seelische Verkrampfungen, Mißtrauen, Kontaktarmut.”

Nur zur Erinnerung: das schreibt ein Autor in einem 1971 erschienenen Buch über seine aus heutiger Sicht äußerst betuliche Umwelt.

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