Auf zwei Beinen steht es sich besser
In unserer voranstehenden Analyse der Preise für Werbefrei-Abos fehlen nur wenige Namen aus der Big Tech-Welt. Es tauchen dort auf: Netflix, TikTok, Facebook, Spotify, YouTube (Alphabet/Google). Es fehlt Apple, dessen zunehmend verhärtete ‘Datenschutz’mechanismen stark im Verdacht stehen, dem Aufbau eines eigenen Werbegeschäfts zu dienen. Und es fehlt Amazon, weil der im nächsten Jahr kommende Preis für Amazons Prime Video ohne Werbung bei uns noch nicht bekanntgegeben wurde. In den USA werden es 2,99$ monatlich sein.
Ist Prime Video nicht immer ohne Werbung? Bisher ja. Aber bald nicht mehr. Prime Video wird ‘per Negativoption’ zu einem Abo mit Werbung. Wer das nicht will, muss draufzahlen.
Es ist damit ein Paradebeispiel für einen Paradigmenwandel, in dem man auch eine Rückkehr zu den Mechanismen einer Brache sehen kann, die sich über Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte, bewährt haben: die Finanzierung von Medienangeboten aus zwei Quellen: Leser/Seher/Nutzer-Zahlungen und Werbung.
Die Rückkehr zu dieser Zwei-Säulen-Strategie lässt sich sogar bei einzelnen Angeboten der Publishing-Welt feststellen. So hatte Bild sein Plus-Angebot einstmals mit Abonnenten-exklusiven Fußball-Bundesligavideos gestartet, diese Bezahlinhalte später – vermutlich zu hoher Lizenzkosten wegen – aus dem Angebot genommen und noch später – jetzt werbefinanziert – erneut ins Angebot genommen.
Der legendäre, bisher zu 100% werbefinanzierte Nachrichtensender CNN steht wohl kurz davor, ein Bezahlabo für seine Webinhalte einzuführen.
Sogar weit außerhalb der Medienwelt fasst das Geschäftsmodell Werbung immer weiter Fuß. Handelskonzerne wie Otto, Amazon oder Media Markt vermarkten auf ihren Websites Werbeplätze (Retail Media).
Nach Phase 1 des überwiegenden Paid Content-Skeptizismus und Phase 2, der Digitalaboeuphorie, befinden wir uns erkennbar in Phase 3, der Rückkehr zur Strategie, das Geschäft über zwei Märkte zu finanzieren, B2C durch den Verkauf und B2B durch Werbeerlöse (inkl. der Monetarisierung des Verzichts auf Werbeerlöse durch den Verkauf von ‘werbefrei’-Abos).
Etablierte Verlage könnten an dieser Stelle versucht sein, selbstzufrieden festzustellen, ‘das haben wir immer schon gewusst’. Davor sollten sie sich allerdings so lange hüten, wie sie nicht sicher sind, dass sie schon die richtigen Produkte für die digitale Zwei-Säulen-Welt entwickelt haben. In vielen Fällen führt programmatische Werbung noch zu beinahe unlesbaren, jedenfalls unattraktiven Erscheinungsformen des digitalen Journalismus, die sicher nicht geeignet sind, auf zwei Beinen in die Zukunft zu marschieren.
Man kann sich mit Werbung weiterhin auch ins Knie schießen.