Blaumachen
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, Ihren Abonnenten einen Extra-Obolus dafür abzuverlangen, dass Ihre Redaktion die tatsächliche Faktenlage zu den von ihr veröffentlichten Artikeln überprüft? (Damit würden Sie eingestehen, dass Ihre bisher veröffentlichten Inhalte keinem solchen Check unterzogen wurden. Man könnte Sie dafür kritisieren, dass Sie zusätzliches Geld für eine Leistung aufrufen, von der jeder verständige Mensch annehmen sollte, dass Sie diese im Rahmen ihres publizistischen Geschäftsmodells ohnehin erbringen.)
Um das Angebot für Ihre Kunden noch begehrlicher zu machen, könnten Sie eine weitere Selbstverständlichkeit in den Bezahlservice hineinbündeln. Kundenservice. Warum nicht das Call Center zu einem echten Profit Center machen, indem sie das Beheben von Reklamationsursachen oder das Beantworten allfälliger Fragen ihrer Kunden entgeltpflichtig machen?
Schließlich könnten Sie den Schutz der persönlichen Daten ihrer Kunden auch zum Bestandteil dieses neuen Abos machen. ‘Einblick in Ihre Kontodaten und Kontaktdaten nicht für jeden Neugierigen, sondern nur für berechtigte Mitarbeiter? Das bieten wir Ihnen zusammen mit Faktenchecks und Kundenservice für nur 9,99e pro Monat.’
Das wäre die Pressevariante des bezahlpflichtigen blauen Hakens, den man seit einiger Zeit bei Twitter findet und dessen Einführung Mark Zuckerberg nun für Facebook und Instagram angekündigt hat.
An Dreistigkeit ist das kaum zu überbieten. Da betreibt man eine, nein, lange Zeit sogar die weltgrößte Plattform zur Selbstdarstellung und Identitäts-Inszenierung. Und dann reagiert man auf den Befund, dass sich hinter attraktiven Strahlemännern und -frauen, hinter vertrauenswürdig klingenden Namen oft Roboter, Trolle oder schlicht Hochstapler befinden damit, dass man den ehrlichen Selbstdarstellern Geld dafür abverlangt, ihnen Ehrlichkeit zu testieren. Den Milliarden Nutzern gegenüber gesteht man damit ein, dass man bisher eine Scheinwelt inszeniert hat, dass man ihre Aufmerksamkeit nicht selten auf Fake-Profile geleitet und damit gestohlen hat.
Twitter soll bisher gerade einmal 300.000 Kunden für dieses Geschäftsmodell gefunden haben. Das klingt nach einem Flop. Der wäre plausibel.
Identitätsverifikation ist etwas, was Wert nur dann schöpft, wenn die Nutzer darauf vertrauen. Durch die Einführung dieser Dummdreistabos lernen sie aber gerade, dass die Sozialen Medien sie in keiner Weise ernst nehmen; dass man ihnen nicht nur jahrelang Xe für Us vorgemacht hat, sondern, dass man nun damit Geld verdienen will, das in einigen Fällen geradezurücken.
Darauf kann es eigentlich nur eine Reaktion geben: diesen Diensten den Rücken kehren, seine Zeit mit anderen Dingen zu verbringen, aus der Beziehung zu Facebook und Twitter auszusteigen, blauzumachen.