Brandbrief: ein Presse-Händler zum Sortimentsmanagement des Presse-Grosso

(14.8.2014)

Bereits seit der März-Ausgabe begleitet pv digest das veränderte Sortimentsmanagement der Presse-Grossisten mit intensiver Berichterstattung und Analyse.

Von Anfang an wiesen wir darauf hin, dass unter den zahlreichen Stimmen zu diesem Thema ausgerechnet die Handels-Seite nichts von sich hören lässt. Dabei sollen reduzierte Sortimente und frühzeitige Remissionsaufrufe gerade für das Geschäft der Presse-Händler vorteilhaft sein. Die Umsatzoptimierung mit dem Sortiment Presse im Einzelhandel ist das erklärte Ziel der veränderten Spielregeln der Presse-Großhändler.

Nun erreichte uns die Kopie eines Briefes, den ein selbstständiger westdeutscher Presse-Händler an den Vorsitzenden des Bundesverbandes Presse-Grosso adressiert (und an weitere Empfänger CC verteilt) hat. Es ist die bisher markanteste öffentliche Äußerung eines Vertreters der Handels-Seite zu diesem Thema. Und sie ist ausgesprochen kritisch:

  • der selbstständige Fachhandel sei über die neue Verfahrensweise nicht (ausreichend) informiert worden
  • Handelsbräuche würden plötzlich weggewischt
  • Aussagen des Grosso-Vorstands zeigten, dass die neuen Regeln vor allem Discountern und Lebensmittelfilialisten zugute kommen sollen
  • positive Rückmeldungen zum neuen Sortimentsmanagement kämen sicher nicht aus dem Kreis der inhabergeführten Fachhandelsgeschäfte
  • auch sehr volle Regale schreckten die Kunden nicht ab
  • im Gegenteil: “viele Fachhändler leben aber von der Attraktivität eines breiten Programms mit auch ‘schwer verkäuflichen Objekten'”

Zwar klingt der Brief, als habe ihn eine Interessenvereinigung kleiner und kleinster Titel diktiert. In einem Telefonat mit dem Absender haben wir uns aber davon überzeugt, dass der Brief authentisch und eigenmotiviert ist.

Das Pressegeschäft ist selbstredend kein Bahnhofsbuchhändler (diese werden nicht vom Großhandel beliefert). Und es befindet sich auch nicht auf dem Campus einer Universität, wie einige im Schreiben genannte Titel glauben machen könnten. Das Ladengeschäft befindet sich nicht einmal in einer Universitätsstadt [– fast wären wir geneigt zu sagen “im Gegenteil”…]

Hier das absenderseitig anonymisierte Schreiben im Original

Nachtrag: Und hier die Antwort des Vorsitzenden des Grosso-Verbandes

Nachtrag 2: Und hier die Antwort auf die Antwort des Vorsitzenden des Grosso-Verbandes

Was heißt das nun für das neue Sortimentsmanagement? Natürlich darf ein Einzelfall nicht dazu führen, dass der Stab darüber gebrochen wird. Aber der Brief ist erkennbar von einem erfahrenen (und frustrierten) Presse-Händler verfasst. Das Schreiben ist ein unmissverständlicher Beleg, dass es an einer (fach)öffentlichen Diskussion zum Sortimentsmanagement ebenso fehlt wie an belastbaren und repräsentativen Stimmen aus dem Handel.

Nachtrag: Mittlerweile hat der Vorsitzende des Bundesverbandes Presse-Grosso geantwortet. Im Wesentlichen stellt er die Grundlage des an ihn adressierten Schreibens in Abrede. Der Einzelhändler sei gar nicht von den neuen Sortimentsregeln betroffen. Denn diese wirkten händlerspezifisch und würden im besonderen Fall des Brief-Schreibers gar nicht zur Anwendung kommen. Auch gebe es für Händler mit dem Wunsch nach einem sehr breiten Sortiment jederzeit die Möglichkeit, individuell nach Wunsch beliefert zu werden.

Allerdings gebe es eben auch eine Reihe von Presse-Händlern – und darunter fielen auch die Discounter – die andere Sortimentskonzepte wünschten. Auch deren Vorstellungen müsste ein neutrales Presse-Grosso gerecht werden.

Nachtrag 2: in einem Antwort-Schreiben an den Grosso-Vorsitzenden schildert der Einzelhändler, warum er sich sehr wohl betroffen fühlt.

Aktuell sollen von den Grossisten Test-Daten aus den ersten Monaten, in denen das neue Sortimentsmanagement zur Anwendung gebracht wurde, ausgewertet werden. Man darf mit Spannung darauf warten, ob die Logik ‘weniger Titel im Regal = mehr Verkäufe’ funktioniert. Aber selbst wenn: dann fehlte es immer noch an einer öffentlichen Meinungsbildung zu der Frage, ob die Umsatzmaximierung im Einzelhandel tatsächlich das bestimmende Prinzip sein darf im Umgang mit der an vielen Stellen privilegierten Ware Presse.

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