… letzte Worte
Käpt’n Schrader und der Eisberg
Der Vertriebschef des Bauer Verlages, Mark Schrader, hat auf dem gerade stattgefundenen Distribution Summit des MVFP eine sehr lobenswerte Praxis fortgeführt, die sein Kollege Ingo Klinge im Jahr davor erst begründet hatte: eine Eröffnungsrede nicht nur für salbungsvolle Worte und wohlfeile Hohlfloskeln nutzen, sondern für originelle Gedanken und Ideen mit Substanz.
Zwar war es nicht überraschend, dass Schrader ‘das Vertriebssystem’ (lies: die wenigen verbliebenen selbstständigen Grossisten) zum Thema machte. Aber so konkret wie er hat noch niemand coram publico gesagt, wie denn die ‘Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Vertriebssystems’ in Zeiten rasant sinkender Absätze aussehen soll.
Die Grossofirmen sollten sich auf ein einziges ERP-System einigen. Presse solle nicht mehr exklusiv transportiert werden, sondern sich in vorhandene Logistikkapazitäten einordnen. Die Grossisten sollten sich auf die absolut unverzichtbaren Basisdienste beschränken (lies: die Logistik). Für Nicht-Insider: das sind im Vergleich zur jahrzehntealten Praxis sehr radikale Forderungen.
Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen behauptete Schrader allerdings, “viele” Branchenbeteiligte sähen nicht, wie gefährdet das Vertriebssystem sei. Er malte mehrfach das Bild einer von ihren Mitreisenden für unsinkbar gehaltenen Titanic, die munter auf den Eisberg zusteuert, während die Kapelle Musik spielt.
Das ist ein großer Popanz. Wirklich niemand, der sich auch nur in Ansätzen für das Grossosystem interessiert, glaubt noch daran, in einer heilen Welt zu leben. Den Eisberg sehen alle.
Nicht alle teilen Schraders Vorstellungen davon, welcher Kurs einzuschlagen ist, um daran vorbeizusteuern (oder wenigstens den Aufprall um so viele Jahre wie möglich noch herauszuzögern).
Dass mit Mark Schrader endlich einmal ein Vertreter der sonst nur klammheimlich am Systemumbau feilenden ‘G13’-Verlage konkret und öffentlich sagt, was er will, das ist sehr zu begrüßen. Aber auf den Leim gehen sollte man ihm nicht.
Was er fordert ist nicht alternativlos. Die untergangsgeweihte, zugleich realitätsblinde Partygesellschaft, die er aufmalt, die gibt es nicht. Aber alle Akteure, die seinen Kurs nicht teilen wollen, sind nun unter Zugzwang. Wer nur hinter verschlossenen Türen agiert, der kann eben leicht als jemand vorgestellt werden, der selbstverliebt in den Untergang dampft. Wer ernsthaft glaubt, brauchbare Alternativen zu kennen, der ist jetzt gefordert, diese genauso laut und konkret (!) publik zu machen.
pv digest steht – notfalls auch anonym – zur Verfügung, wenn es darum geht, hierfür ein Forum zu bieten.
Solange Käpt’n Schrader als einziger einen Kurs ausruft, wird er diesen auch allein bestimmen können. Irgendwer muss das Ruder ja in die Hand nehmen.