Ziemlich beste Freunde

(7.7.2016, Auszug aus pv digest #7/2016)

Zeitungsverlage aufgepasst! Diskussionen rund um das deutsche Grossosystem konnten Ihnen bisher weitgehend gleichgültig bleiben. Hamburger Beschlüsse? Umsatzbonus-Tabelle? Weniger Raum für “Trittbrettfahrer” und “Copyisten”? Das alles sind Aufreger aus der Welt der Zeitschriften. Regionale Tageszeitungen haben sich aus den Streitfragen rund um das deutsche Grossosystem in den letzten Jahren fein herausgehalten.

Das ändert sich gerade mächtig. Die Schwergewichte der Zeitschriftenwelt, die im kommenden Jahr vor der Neuverhandlung der Leistungen und Preise der deutschen Pressegroßhändler stehen, werfen die Tageszeitungen als Verhandlungsmasse in die Runde. Und weil die meisten Zeitungen von zentralen Grossospannenverhandlungen bisher gar nicht betroffen waren und traditionell ihre Claims in diesem Bereich nicht abstecken, müssen sie aufpassen, nicht zum Spielball der Magazin-Platzhirschen werden.

Burda-Vorstand Welte sagt: für Zeitungen müssen die Grossisten jeden Tag 20.000 Verkaufsstellen ansteuern, mit denen wir (Zeitschriftenhäuser) nichts zu tun haben. Dafür wollen wir nicht bezahlen. Das sieht der Bauer-Verlag genauso. Und der wird absehbar auch noch einmal die Frage auf den Tisch legen, ob die Grossisten wirklich jeden Tag sämtliche Verkaufsstellen beliefern müssen.

Die Flagge der Zeitungen hält derzeit Axel Springer nach oben. Dessen Vertriebs-Vize, Michael Fischer, sagt: das ganze System zieht seine Berechtigung aus Artikel 5 GG, der Meinungs- & Informationsfreiheit. Und die meint – so meint Fischer – vor allem Tageszeitungen. Damit meint Fischer natürlich vor allem Bild. Die soll an maximal vielen Verkaufsstellen angeboten werden – immer zusammen mit der regionalen Tagespresse.

Das ist ein starker Koalitionspartner für die kleinen Zeitungen aber zugleich ein Riesendickschiff, das die regionalen Beiboote leicht erdrücken kann. Denn neben einer maximalen Anzahl Verkaufsstellen kämpft Fischer für minimale Handelsspannen. Da bewegt sich Bild in (Klein)Größenordnungen, von denen sämtliche übrige Presse nur träumen kann. Und Springer könnte versucht sein, Präsenz in der Fläche gegen weiterhin sehr niedrige Handelsspannen für Bild einzutauschen. Dann wäre es vorbei mit den gemeinsamen Interessen von Bild, Borkener Zeitung und Bruchsaler Rundschau.

Andererseits braucht Springer die regionalen Titel zur Legitimation seiner Forderungen. Denn eine flächendeckende Präsenz nur von Bild erscheint gesellschaftlich nicht zwingend erforderlich. Um aus dieser Situation Nutzen zu ziehen, müssen die Regionalzeitungen mit einer gemeinsamen Stimme sprechen. Dann könnten aus dem Boulevardriesen und den kleinen Abotiteln in der Provinz ziemlich beste Freunde werden.

(Eine komplizierte Dreiecksbeziehung bleibt für die Funke-Gruppe, die etliche Tageszeitungen aber auch hochauflagige Zeitschriften im Portfolio hat).

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