#6/2015: Geschäftsmodell Zeitung – Werbung vs. Vertrieb

Anzeigen vs. Vertrieb

These US-Berater: Finanzierung aus Werbegeschäft nur vorübergehende Phase

Matt Lindsay, Chef des auf Pricingfragen spezialisierten Beratungsunternehmens Mather Economics, widerspricht der verbreiteten These, Zeitungen hätten sich immer schon überwiegend mit Werbe-Erlösen finanziert statt aus den Vertriebserlösen. “Diese Geschäftsstrategie war eine Innovation von Joseph Pulitzer um 1900”. Davor hätten Nachrichtenmedien den größten Teil ihrer Erlöse beim Endkunden eingesammelt, “und so wird es in der nahen Zukunft wieder sein.”

wissenschaftliche Studie(60er Jahre!) zu deutschen Tageszeitungen:

Während Lindsay damit zu Recht der sehr verbreiteten These widerspricht, dass Zeitungen ihr Geld noch nie im Vertrieb verdient hätten, überzeugt seine pauschale historische Diagnose zumindest für Deutschland nicht. Und weil dieses Thema immer wieder auftaucht, verweisen wir in diesem Zusammenhang auf die einzige uns bekannte wissenschaftliche Untersuchung zu der Frage, ob Zeitungen ihre Umsätze überwiegend im Publikumsmarkt oder im Anzeigengeschäft erzielen. Leider stammt diese bereits aus dem Jahr 1968. Aber das spielt angesichts der hier betrachteten Zeiträume keine so große Rolle wie die Tatsache, dass der Aufsatz von Kurt Reumann in der wichtigsten relevanten deutschen Fachzeitschrift, Publizistik, veröffentlicht wurde und damit garantiert sein sollte, dass die Analyse allen Ansprüchen an eine wissenschaftliche Arbeit genügt.

seit 400 Jahren wechseln vertriebsorientierte und anzeigenorientierte Phasen

Für Deutschland lässt sich die sehr detaillierte Analyse Reumanns wie folgt bilanzieren: in der rund vierhundertjährigen Geschichte der Tageszeitungen wechselten Phasen, in denen die Vertriebserlöse gegenüber den Werbe-Erlösen dominierten und Phasen, in denen das Werbegeschäft die bedeutendste Umsatzquelle war, ab. Reumanns Artikel visualisiert dieses Fazit für die knapp 200 Jahre von 1780 bis 1968:

Grafik für Anzeigenanteil 1780-1968: Schwankung zwischen 10% und 70%

Ende der 60er Jahre überwogen demnach die Anzeigenerlöse und trugen rund zwei Drittel zu den Umsätzen der Tageszeitungen bei.

2013: 60% Vertrieb vs. 40% Anzeigengeschäft bei regionalen TZ

Aber spätestens seit 2010 schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung aus. Für 2013 geht der Zeitungsverlegerverband BDZV bei regionalen Abonnementzeitungen von einem Verhältnis von rund 60% Vertriebs- zu 40% Anzeigenerlösen aus.

Fazit: Anteil Vertrieb heute (60%) nahe am historischen Mittelwert

Mit rund 40% Umsatzanteil dürfte das Anzeigengeschäft heute deutlich näher am historischen Mittelwert liegen als jemals zuvor in der Lebenszeit der aktuell verantwortlichen Verlagsmanager.

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