#11/2020: iPad statt Print mit herausragender Kundenbindung

iPad statt Print

US-Zeitung verleiht kostenlos iPad Pro, wenn Leser auf das E-Paper umstellen

Schon zweimal haben wir über die amerikanische Lokalzeitung Arkansas Democrat Gazette berichtet. Das konservativ ausgerichtete Blatt verfolgt unter seinem konservativen aber offensichtlich der Zukunft zugewandten Verleger Walter E. Hussmann eine weltweit einmalige Vertriebsstrategie: Es motiviert Abonnenten zum Umstieg auf das E-Paper mit einem für die Dauer des Abos kostenlos zur Verfügung gestellten iPad. Dabei handelt es sich nicht um die kleine und preisgünstige iPad Mini Variante, sondern um die teuerste Version, das iPad Pro. Und es handelt sich dabei auch nicht um eine Werbeprämie oder eine Abozugabe, sondern um eine Leihgabe.

Kosten: rund 400$ für Hardware und individuelle Schulung/Einrichtung

Neben dem Zur-Verfügung-stellen betreibt die Zeitung einen erheblichen Aufwand, um ihren vielen älteren und ländlich wohnenden Lesern bei der Installation des Gerätes behilflich zu sein und sie im Umgang mit dem E-Paper der Zeitung zu schulen. Über 300$ kostet die Zeitung der Kauf eines Gerätes, weitere 90$, so schätzt Verleger Hussmann, die Schulung [pvd: der übliche Verkaufspreis für ein iPad Pro liegt im Bereich 800$. Unsere Frage, wie er mit nur 300$ Einkaufspreis kalkulieren kann, hat Hussmann nicht beantwortet].

pvd #2/2020: ¾ aller Umstiegs-Angebote an Abonnenten wurden angenommen

Über dieses Projekt hat pv digest erstmals im Februar 2019 berichtet. In der Ausgabe #2/2020 haben wir den ‘Blick in die Zukunft’ darauf verwendet, nachzufragen, ob die Strategie aufgeht. Wir konnten berichten, dass rund drei Viertel der Abonnenten, denen der Wechsel auf das E-Paper angeboten wurde, für den Umstieg gewonnen wurden, und dass der Verlag für das laufende Jahr in die Gewinnzone zurückzukehren erwartete.

Forschungsprojekt zur Haltbarkeit:

Nun sind weitere bemerkenswerte Fakten rund um dieses Digitalisierungsprojekt aufgetaucht. Das auf Presseforschung spezialisierte Spiegel Research Center an der Northwestern University hat sich mit den Kündigungsquoten bei den Abonnenten der Democrat Gazette beschäftigt. Darüber berichtet Mark Jacob, der Hausjournalist des Lokalmedienverbandes Local News Initiative.

1% Kündigerquote beim E-Paper

3% im Schnitt der Print-Abos

Das überraschende Ergebnis der Forscher: Die neuen Digitalabos werden seltener gekündigt als ihre Print-Vorläufer. Und das in einem ganz erheblichen Ausmaß. Bei den Printabos habe die durchschnittliche monatliche Kündigungsquote bei 3% gelegen. Bei den Umsteigern auf das E-Paper kündigen [pvd: bisher/derzeit] nur 1% pro Monat.

1% monatliche Kündigungsquote erlaubt die Hochrechnung auf eine erwartete durchschnittliche Haltbarkeit im Bereich oberhalb von acht Jahren. Spiegel Research-Forschungsdirektor Ed Malthouse zeigt sich beeindruckt: “Das ist phänomenal”.

Verleger Hussmann: 400$ Invest führt zu 1.000$ zusätzlicher Kundenwert

“Schauen Sie sich diesen Unterschied zwischen einem normalen Abonnenten und einem mit iPad an. Sie investieren im Bereich 400$. Und Sie bekommen einen Abonnenten mit einem Lifetime Value über 1.700$. Die anderen Abonnenten haben einen Wert irgendwo zwischen 600$ und 700$. Das ist ein gutes Investment”, sagt Verleger Hussmann über sein Programm [frei übersetzt von pvd].

Printausgabe am Sonntag ohne positive Effekte

Ein Detailergebnis aus der Analyse der Kündigungsdaten: eine in einigen Gegenden als Bestandteil des Digitalabos angebotene gedruckte Sonntagsausgabe bewirkte keinen Unterschied in den Kündigungsquoten. Nicht einmal die verbreitete Idee, ‘werktags digital, am Wochenende gedruckt’, bewirkte hier also eine größere Kundenbindung als die Komplettumstellung auf das digitale Leseformat.

vermutete Ursache des Haltbarkeitsvorteils: intensive Kundenbetreuung

Die Ursache für den großen Unterschied bei den Kündigungsquoten sehen die Forscher und der Verleger nicht nur in der Tatsache, dass nun auf einem iPad statt auf vorher auf Papier gelesen wird. Die Ursache liege besonders auch darin, dass man mit der aufwändigen Schulung der Papier-Gewohnheitsleser einerseits einen großen Vertrauensvorschuss aufgebaut habe. Und man stelle auf diesem Weg sicher, dass die Leser im Umgang mit dem E-Paper vertraut sind, dessen Vorteile nutzen können, ohne von technischen Problemen frustriert zu werden.

pvd meint Was da mitten in Amerika passiert verdient viel mehr Aufmerksamkeit als bisher. Die Democrat Gazette ist eine ‘stinknormale’ Lokalzeitung mit Blick auf ihre Leserschaft, auf die teils schlechte Breitbandabdeckung und auf die logistischen Probleme der Zustellung. Die waren es letztlich, was den Verleger dazu bewegte, dieses radikale Experiment zu wagen.

Ein Unterschied zu vielen anderen Zeitungen ist, dass Verleger Hussmann immer an seine Zeitung geglaubt und darum nie die Redaktionsbudgets gekürzt hat. Der Unterschied zu fast allen anderen Zeitungen ist der Wagemut, mit dem er an der Zukunft seiner Zeitung arbeitet.

Dabei geht er allerdings maßvoll und Schritt für Schritt vor. Das E-Paper seiner Zeitung ist ein 1:1 Abbild der gedruckten Ausgabe, lediglich um wenige multimediale Features, wie zum Beispiel Bildergalerien, angereichert. Hussmann ist überzeugt, dass man die Leser überfordern würde, wenn man ihnen neben dem Schritt zum iPad gleichzeitig ein neues Darstellungs-Format zumuten würde. Langfristig sieht auch Hussmann im E-Paper nur eine Brückentechnologie.

Seine Leser laufen auch nicht mit wehenden Fahnen über. Er muss sie mühsam für den Umstieg gewinnen. Viele Leser berichten davon, wie ungern und widerwillig sie den Schritt gegangen sind. Aber oft auch davon, dass sie nach und nach gelernt haben, ihre Zeitung auf dem iPad sogar lieber zu lesen als auf Papier.