#9/2022: statt Churn-Scores: Marketing-Reaktionswahrscheinlichkeits-Scores

Scoringmodelle & Kundenbindung

Marketingprof. empfiehlt: nicht Kündigungswahrscheinlichkeit scoren…

..sondern Wahrscheinlichkeit, auf eine Kundenbindungsmaßnahme zu reagieren

Eva Ascarza, Marketingprofessorin an der Harvard Business School, empfiehlt Datenanalytikern in den Verlagen, ihre Scoringmodelle beim Thema Churn neu justieren. Statt der Kündigungswahrscheinlichkeit sollten Verlage eine andere Zielvariable ins Visier nehmen, nämlich die Wahrscheinlichkeit dafür, dass jemand überhaupt auf einen Marketing- oder Kundenbindungsanstoß reagiert. Ascarza wählt ein drastisches Bild: “Statt einer Prognose benötigen wir eine Verschreibung. Für einen Arzt ist es nicht nützlich zu wissen, welche seiner Patienten mit größerer Wahrscheinlichkeit sterben werden. Für den Arzt ist es nützlich zu wissen, welche seiner Patienten voraussichtlich positiv auf seine Behandlung reagieren werden.”

Ähnlich sei es mit der Modellierung von Kündigungswahrscheinlichkeiten. Viele der Kunden, die solche Modelle als kündigungsgefährdet einstufen, würden tatsächlich kündigen und wären davon auch nicht mehr abzubringen. Unternehmen, die ihre Churnquoten durch aktive Kundenbindungsmaßnahmen senken wollen, sollten ihre Ressourcen auf die Kunden konzentrieren, die mit guter Wahrscheinlichkeit auf eine Kundenbindungsmaßnahme positiv reagieren.

Experiment in zwei Unternehmen

Ascarza berichtet über ein Experiment bei zwei Unternehmen. Beide Unternehmen hätten sowohl die Kündigungswahrscheinlichkeit modelliert als auch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Kunden auf eine Marketing-Maßnahme reagieren. Unter den 10% Kunden mit der höchsten Kündigungswahrscheinlichkeit habe Unternehmen A nur 16% gefunden, die mit guter Wahrscheinlichkeit auf eine Maßnahme positiv reagieren; bei Unternehmen B waren das sogar nur 6%. Eine Maßnahme, die alle stark kündigungsgefährdeten Kunden adressiert, hätte deswegen bei Unternehmen A zu 84% und bei Unternehmen B sogar zu 94% Streuverlusten geführt.

Unter den Top-30% der nach ihrer Kündigungswahrscheinlichkeit gerangreihten Kunden fanden sich dagegen bei Unternehmen A 37% und bei Unternehmen B immerhin 16% Kunden, die mit guter Wahrscheinlichkeit positiv auf eine Marketingaktion reagieren würden.

Im Rahmen des Experiments verglichen beide Unternehmen nun je eine Aktion, die sich nur an Kunden mit einer Top-10%-Kündigungswahrscheinlichkeit richtete mit einer Aktion, die sich aus den Top-30% der kündigungsgefährdeten Kunden an die gleiche Anzahl Kunden aber mit einer möglichst hohen Wahrscheinlichkeit für eine positive Reaktion auf eine Kundenbindungsaktivität richtete.

Ergebnis: Maßnahme an ‘marketing-reaktive’ Kündigungsgefährdete effektiver…

Bei Unternehmen A habe sich die Bleibequote durch die Aktion an die am meisten kündigungsgefährdeten Kunden um 2% verbessert. Die Aktion, die sich an die gleiche Anzahl Personen richtete, die aber nach dem Kriterium ihrer Reaktionswahrscheinlichkeit ausgewählt wurden, habe die Bleibequote um 8% verbessert.

…als Maßnahme an maximal kündigungsgefährdete Abonnenten

Bei Unternehmen B habe die Aktion, die sich nur an der Churn-Wahrscheinlichkeit orientierte, sogar zu einer Verschlechterung der Kundenbindung geführt. Die Kundenbindungsquote sei dadurch um 2% gefallen. Die alternative Aktion, die sich an die besonders ‘rezeptiven’ Kunden richtete, habe dagegen die Bleibequote um 4% erhöht.

Schlagworte

Kundenbindung

Themengebiete

Meinungen